Anfang vom Ende

Als ich aufwachte war es bereits hell.
Ich ging aufs Klo und wunderte mich über irgendwas, zog mich an, machte mir einen Kaffee und leerte ihn in den Abfluss. Ein Glas Wasser war mein Frühstück, mehr schien mir unangebracht.

Beim Versuch mich an eine Reihenfolge zu erinnern fand ich nichts, also blieb ich einfach stehen, mitten in der Küche mit einem leeren Glas.
Irgendwann lies ich das Glas einfach los. Der Aufprall und die Scherben gaben mir etwas zu tun.
Als ich auf dem Boden kniete und die Scherben mit den bloßen Händen zusammenschob fing ich an zu bluten, auch das gab mir etwas zu tun.

Mit Papiertüchern in den Fäusten fanden sie mich irgendwann und waren der Ansicht, etwas müsse sich ändern. Dieser Ansicht war ich schon lange, was nicht hieß, dass wir an ähnliches dachten.
Im Gegenteil.
Ich wahrte den Schein und sie ließen mich in Ruhe.
So fing am Ende alles an.

Gründe gibt es immer

Am Dienstag, den fünften Januar hatte er keine Lust mehr, stand einfach auf, packte seine Sachen, zog die Jacke an und ging los.
Ob sich Niemand um ihn kümmerte oder er es nicht bemerkte konnte er danach nicht mehr sicher sagen. Beides wäre schlüssig.

Bis zum Ausgang fühlte sich jeder Schritt an wie der letzte, danach jeder wie der Erste.
Der Weg zum Auto war klar, die Zweifel packten ihn hinter dem Lenkrad, die ängstlichen Zweifel seines verschwendeten Lebens, die Angst, die Sorgen, das kleinbürgerliche Sammelsurium an Ankerketten, der bis zum Instinkt gewordene eingeprügelte Konformismus.
Körperlich anstrengende Zweifel, schwitzen und zittern, frösteln, erst einige Minuten nach dem losfahren ging es wieder und er versuchte so wenig wie möglich aber so viel als nötig an vernünftigem Denken zuzulassen um nicht in kürzester Zeit den zu Tode gefürchteten Weg des Scheiterns gehen zu müssen.

Kein Geld, keine Papiere. Portemonnaie liegt zu Hause.
Zu Hause.

Sollte er es wirklich wagen wegen dieser Dinge dem Ereignishorizont des schwarzen Alltagsloches zu Nahe zu kommen?
Oder war er schon über diese Gesetze erhaben und frei genug tun zu können was er wollte.
Zehn Minuten, ewige zehn Minuten.
Am Ende war er sich Sicher nicht den Weg der Flucht einzuschlagen, Flucht ist Kapitulation, Eingeständnis. Handlung ist die einzige Freiheit. Aktion. Reaktion ist nur, der dummen Dressur nachgeben.

Die Auseinandersetzung dauerte weniger lange als er dachte, die Details völlig nebensächlich. Die Wucht seiner Entschlossenheit kraftvoll genug für zwei.
Ab jetzt war alles besser oder ab jetzt würde alles besser werden….

Vergessen

Ich stehe in einer größeren Stadt an einer einigermaßen viel befahrenen Straße und warte, laufe meine Tiger-Schleifen, schaue hierhin und dorthin und habe als konditioniertes Landei das ständige Gefühl die sich Vorbeibewegenden fragen sich alle worauf oder warum ich hier warte.
Es kümmert tatsächlich kein Schwein, ist halt normal, ist ja auch Stadt.
Ich steh also dort an diesem völlig durchschnittlichen September Montag, kein Regen, nicht kalt, der Rest egal.

Mein hin und her Gestarre und Gelaufe wird jäh unterbrochen von hysterischem Frauen Geschrei. Was ich gerade noch sehe ist wie eine, vermutlich, Mutter mit ihrem ungefähr sechsjährigen Sohn an der großen Kreuzung neben mir mit dem Fahrrad über die Straße fährt bzw.nicht mehr fährt sondern am Ende des Überwegs steht und unverständliches schreit und kreischt weil das Kind, ebenfalls mit Fahrrad, mitten auf der Kreuzung plötzlich die Orientierung verlor und Kreise dreht und nicht mehr weiß wohin.
Kein Auto hupt oder fährt es ist ja auch offensichtlich, dass warten die beste Lösung ist.

Beide schaffen es jedenfalls wohlbehalten über die Straße und bleiben direkt an der Ampel auf dem Gehweg auf Ihren Fahrrädern sitzend stehen.
Sie reden und ich höre nicht was sie reden, das heißt, kein Geschrei mehr, im Gegenteil, ich gehe wieder im Kreis und es scheint alles Gut.

Nach ein paar Minuten steigt die Mutter von ihrem Rad, nicht hektisch oder gestresst, sondern ganz ruhig, geht zu ihrem Sohn, hebt den Jungen von seinem Fahrrad, sichert es mit dem Ständer und stellt ihn auf den Boden.
Nimmt dann ihren Helm und den Helm des Jungen ab, alles ganz ruhig und entspannt.
Mit dem was dann folgte rechnete ich allerdings überhaupt nicht.
Die Frau kniete sich auf den Boden, nahm ihren Sohn in die Arme und genau in diesem Moment fängt der bis jetzt unhörbare Kleine an herzzerreißend zu weinen.
Die Mutter hält ihn einfach mitten auf dem Gehweg, alles andere egal.
Sie ist auf die natürlichste Art einfach Mama und kniet und hält ihren Sohn dem der ganze Schrecken hemmungslos aus den Augen und dem Mund quillt.

Wie lange die beiden so auf dem Gehweg standen bzw. knieten weiß ich nicht mehr. Der mütterliche Instinkt hat kein Zeitgefühl und es waren auf jeden Fall mehr als fünf Minuten, unstörbar.
Dass es mir beim Anblick der umarmenden und in dem Moment einfach bedingungslos liebenden Mutter fast gleich wie dem Jungen ging und ich laut hätte losheulen können tut ja eigentlich nichts zur Sache, erwähne ich aber trotzdem, weil dies der Grund ist warum ich diese Geschichte überhaupt aufschreibe.

Ihr Ende fand die Umarmung als eine ältere Dame mit einem Maulkorb tragenden Pudel an den beiden vorbei ging.
Dieser Anblick schien dem Jungen jetzt plötzlich wichtiger und er sprach die Dame an, lachte wieder und alles war vergessen.
Er konnte das Gewesene einfach vergessen, weil es die Aufmerksamkeit erfuhr, die für das Vergessen notwendig war.